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- Yves Tscherry
- 17. Okt. 2019
- 8 Min. Lesezeit
Zurück in der Heimat, möchte ich in meinem vorläufig letzten Beitrag noch ein Résumé meiner Tour liefern. Zunächst ein paar key facts und eine kleine Zahlenschlacht :) Fliesstext kommt dann weiter unten.
- 27 Tage unterwegs
- 58 Stunden im Zug
- 4'850 km mit dem Zug gereist
- 40 Stunden Spielzeit auf der Strasse
- 24 kg Gepäck
- 285 km zu Fuss unterwegs
- 358 Franken erspielt
- 361 Franken von verschiedenen Spenderinnen und Spendern aus der Schweiz
- 260 Franken aus eigener Tasche
Erspielte Spenden
Hier die Aufschlüsselung, wieviel ich in den jeweiligen Städten erspielt habe. Total konnte ich 358 Franken erspielen.
Oslo: 64 Franken
Kopenhagen: 18 Franken
Hamburg: 86 Franken
Eindhoven: 68 Franken
Lyon: 122 Franken
Spenden aus der Heimat
Des weiteren habe ich zahlreiche Spenden aus der Schweiz erhalten. Total waren dies 361 Franken. An dieser Stelle nochmals ein saftiges und grosses MERCI an euch, ihr seid KLASSE!!
Facebook-Aktionen
Während meiner Tour habe ich 2 Facebook-Aktionen lanciert, durch welche ich nochmals 260 Franken aus eigener Tasche in den Pot geworfen habe. Auch hier nochmals vielen lieben Dank an alle die mitgemacht haben. Auch ihr seid KLASSE!!
Spendentotal
Das Total aller erspielten Gelder und aller Spendengelder beläuft sich auf 979 Franken.
Spendenempfänger
Die Spenden wurden wie folgt platziert:
- In Oslo habe ich dem Armenhaus 64 Franken in Cash übergeben.
- In Hamburg habe ich dem Kinderhospiz Sternenbrücke 390 Franken in Cash übergeben.
- An The End Fund habe ich den Rest gespendet: 525 Franken resp. 480 Euro.
Damit das alles seine Richtigkeit hat und ihr auch sicher sein könnt, dass eure Spenden ordnungsgemäss platziert wurden, findet ihr unten auf dieser Seite die Spendenbelege vom Kinderhospiz und von The End Fund (beim Armenhaus in Oslo habe ich leider keinen Beleg erhalten).
Das klingt alles sehr ökonomisch. Klar, mein Ziel war es, möglichst viel Geld zusammen zu bekommen damit ich möglichst viel Geld spenden kann. Darum wollte ich diese Abrechnung auch für alle transparent machen. Dennoch möchte ich noch ein paar weitere Gedanken mit euch teilen, die weniger mit finanziellen Aspekten zu tun haben.
Geld ist nicht alles

Ja, genau. Und wie alle wissen, gibt es so viele schöne Dinge im Leben, die man mit Geld nicht kaufen kann. Es ist häufig vorgekommen, dass ich irgendwo stehe, eine halbe Stunde spiele und dabei kein müder Cent in meiner Gitarrentasche gelandet ist. Zu Beginn war das sehr deprimierend und entmutigend für mich. Ich meine, man offenbart sich in gewisser Weise, man tut was man kann und man gibt was man hat, und bekommt nichts dafür... Es dauerte eine Weile bis ich realisierte, dass das so nicht stimmt. Erst mit der Zeit ist mir aufgefallen, dass extrem viele Leute anfangen zu lächeln sobald sie mich sehen und spielen hören. Das nährt, das stärkt und das gibt mir die Zuversicht, dass ich in den Menschen doch etwas auslöse.

Zu sehen wie unbeschwert und unvoreingenommen Kinder mit der Musik umgehen hat mich zusätzlich genährt. Von Kindern wird man in solchen Situation nur selten ignoriert: sie nehmen in dem Moment, in welchem sie die ersten Klänge hören, Blickkontakt auf und lassen nicht ab, bis sie sich wieder ausserhalb der akustischen Reichweite befinden. Dabei lachen sie, ziehen Grimassen, hüpfen, springen, tanzen und singen mit. Selbst wenn ich mich als "audiophilen" Menschen bezeichne wünschte ich mir, ich würde immer mit derartiger Gelassenheit an die Musik herangehen.
Musik verbindet. Musik schlägt Brücken über Gräben und Flüsse, Musik erschafft Wege wo zunächst kein Durchkommen möglich zu sein scheint. So bin ich auf meiner Reise mit vielen Personen in Kontakt getreten, was ohne die Musik zwischen uns sehr wahrscheinlich nicht geschehen wäre. Anstatt einen Menschen mit oberflächlicher Manier anzuquatschen à la "Du hast eine schöne Brille" oder "Schönes Wetter heute" schafft die Musik in der Sekunde, in welcher zwei Menschen sich darauf einlassen, ein emotionales Band. Man spricht direkt die selbe Sprache, man versteht sich, man spürt gegenseitige Zuneigung. Zugleich sind Begegnungen dieser Art auch immer direkt mit Erlebnissen und Erfahrungen verbunden die später irgendwann in unserer Erinnerung herum schwelgen und uns nachhaltig prägen können. Was wären wir ohne Erinnerungen? Ich bin froh konnte ich viele wertvolle und positive Erinnerungen dieser Art mitnehmen.

Ich bin nicht naiv. Ich arbeite und lebe in der Schweiz, in einem der reichsten Länder der Welt. Wir können nicht leugnen, dass viele von uns vom Konsum getrieben sind. Auch können wir nicht die Augen verschliessen vor der finanziellen Armut in der Schweiz, vor vielen kranken Menschen, vor Menschen welche an einer Behinderung leiden. Über 600'000 Menschen in der Schweiz sind von Armut betroffen. Die Tatsache, dass selbst über 4% der arbeitenden Bevölkerung von Armut betroffen ist (Working Poor) ist schlicht perfid. Sollte es uns verwundern, dass jedes Jahr über eine halbe Million der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz psychiatrische Behandlung in Anspruch nimmt? Kurz um, auf dem Papier ist die Schweiz ein reiches Land. In der Realität gibt es viele Menschen, denen es nicht gut geht. Ähnlich sieht es in vielen anderen Ländern aus. In manchen ist die Schere weiter offen, in manchen ein bisschen weniger. Zum ersten Mal in meinem Leben ist mir dieser Kontrast richtig krass eingefahren. Man steht stundenlang an einer Einkaufsstrasse, wird passiert von tausenden von Menschen, die Hände voll mit Einkaufstaschen, und sie haben keine Hand frei um einen Euro ihres Reichtums abzudrücken für Menschen, die es nicht so gut haben wie sie. Eine gute Metapher, wie ich finde. Ich sollte nicht urteilen. Auch ich verhalte mich - nicht immer - aber häufig so, und passiere solche Menschen auf der Strasse einfach. Ich habe oft und intensiv darüber nachgedacht, und ich weiss immer noch nicht wie ich damit umgehen soll.
Ich hatte sehr oft Kontakt mit Obdachlosen. Ab und an habe ich ein paar Euro gespendet und mit den Leuten geredet. Andere Male komme ich durch die Musik mit Obdachlosen in Kontakt. Der Moment, in dem eine junge, arme, obdachlose Frau ein paar Münzen aus ihrem Sack holt und in meine Gitarrentasche wirft, hat mich schlicht zu Tränen gerührt. Ich finde es schön und vorbildlich, wie solche Menschen mit immateriellen Gütern umgehen. Sie wissen es zu schätzen und geniessen es sichtlich, wenn sie für ein paar Minuten unbeschwert Musik hören können die von Herzen kommt. Auch das nährt und stärkt, die Zuhörer und die Musikanten zugleich. Zuhören macht einfach Freude. Spielen auch.
Das mag auch der Grund sein, warum ich mit der Musik in keine einzige negative Situation geraten bin. Wenn ich mir vorstelle, dass ich einfach 40 Stunden auf einer Bank in einer Grossstadt sitzen würde... naja, wie gross wäre die Wahrscheinlichkeit, dass ich z.B. beklaut oder angepöbelt würde? Vielleicht hatte ich auch nur viel Glück? Vielleicht würde beim nächsten Mal nicht alles so rund laufen? Vielleicht würde mir auch in den 40 Stunden auf der Bank nichts Schlechtes widerfahren? Ich weiss es nicht. Ich mag einfach den Gedanken daran, dass mit Musik alles besser und schöner ist.
Manchmal gewinnt man, manchmal lernt man...

Ziel war es, möglichst viel Spendengelder zu sammeln. Vor Beginn meiner Tour habe ich versucht, möglichst keine Erwartungshaltung betreffend der Summe an Spendengelder vor Augen zu haben. Riecht ein wenig nach Feigheit, da ich dadurch die Angst vor dem Scheitern bekämpfen oder mindern kann. Mag sein. Angst vor dem Scheitern, wer kennt das nicht. So ganz gelingt das natürlich nicht. Man denkt an die Strassenkünstler, die man im Alltag antrifft, denkt daran wieviel Geld diese einnehmen und versucht sich unweigerlich auszumalen, wieviel Geld man selbst damit verdienen kann. Wenn ich gefragt werde, ob ich zufrieden sei mit dem Ergebnis... Ob die Tour den gewünschten Erfolg gebracht habe... Aus finanzieller Sicht könnte es mehr sein, es könnte aber auch weniger sein. Es wäre falsch, nicht zufrieden zu sein. Ich konnte Geld für Menschen sammeln, die es dringender benötigen als du und ich. Aus dieser Perspektive betrachtet ist bereits 1 Euro mehr als Nichts. Was mich bereichert hat - der eigentliche Gewinn dieser Reise - sind die schönen Momente, die Begegnungen, die lächelnden und zufriedenen Menschen, die Emotionen welche durch Musik ausgelöst werden können, bei mir, aber vor allem auch bei den Zuhörerinnen und Zuhörern. Etwas, das ich an der Musik immer schon sehr geschätzt habe, ist nun durch die Reise, über die Zeit, noch viel wichtiger für mich geworden. Ich weiss, dass es ein Prozess ist, den ich durchgemacht habe. Ich habe wieder einmal etwas schönes gelernt.
Grossstädte sind meist sehr laut. Nur selten findet man einen stillen Ort an welchem sich auch viele Leute befinden. Wenn ich in der Öffentlichkeit spiele, will ich ja letztlich irgendetwas damit erreichen. Vielleicht will ich anderen einfach eine Freude machen, vielleicht sammle ich Geld für wohltätige Zwecke, vielleicht verdiene ich damit meinen Lebensunterhalt. Egal was mein Ziel ist, ich erreiche es nur, wenn ich auch gehört werde. Nach wie vor denke ich, dass genau das eine Gratwanderung ist: einerseits muss man laut genug sein, damit man gehört wird, anderseits will man nicht zu viele Menschen verärgern, die sich durch die Musik belästigt fühlen könnten. Nichtsdestotrotz habe ich die Erfahrung gemacht, dass man mit akustischer Gitarre und Gesang ohne Verstärker einfach zu leise ist um gehört zu werden. Was die Sache aber wieder zusätzlich verkompliziert, benötigt man doch in den meisten Städten eine amtliche Bewilligung um mit Verstärker spielen zu dürfen.
Bei der Auswahl der Städte habe ich mich mit Oslo und Kopenhagen ein wenig vertan. Beides super schöne Städte, super Leute, super Essen, alles top. Nur sind die skandinavischen Länder in der Transition hin zum bargeldlosen Zahlen sehr viel weiter fortgeschritten als dies hierzulande der Fall ist. Somit trifft man auf viele Leute, die zwar gerne Spenden würden, aber nicht können weil sie schlicht kein Bargeld in der Tasche haben. Ich kann mich nicht daran erinnern, in Oslo jemanden gesehen zu haben, der/die mit Bargeld bezahlt hätte.

Es war mir ein Anliegen, dass die Passantinnen und Passanten verstehen, dass sie Geld für einen guten Zweck spenden. Darum habe ich bei meinen ersten Sessions in Oslo zwei A4 grosse Kartons vor meinem Gitarrensack hingelegt. Auf einem Karton habe ich beschrieben, dass ich während meinen Ferien Geld für einen guten Zweck sammle. Auf dem Anderen schrieb ich hin, für welchen Zweck ich aktuell sammle. Ich realisierte jedoch bald einmal, dass kaum jemand liest, was auf den Kartons steht. "Wenn man nicht gehört wird, wird man auch nicht gelesen", ein bisschen salopp formuliert, aber es hat was. In Hamburg ergab sich zum ersten mal die Situation, dass sich Grüppchen um mich gebildet haben. Diese Menschen haben dann sehr wohl gelesen, für welchen Zweck gespendet wird.
In den letzten Jahren habe ich nicht mehr so oft und intensiv Musik gespielt wie zuvor. Das bekomme ich jetzt vor allem physisch zu spüren. Bereits nach dem dritten Tag hatte ich regelmässig Muskelkrämpfe in beiden Händen. Die Stimme fing schon nach einer halben Stunde an zu versagen und brauchte eine Pause. Meine Fingerkuppen schmerzten von den ungewohnt dicken Saiten. Nach über 4 Wochen nehme ich zwar wahr, dass sich die körperliche Kondition verbessert hat, spüre aber auch, dass mein Körper Erholung nötig hat. Wie in alten Zeiten ist die Hornhaut auf meinen Fingerkuppen nun wieder so dick, dass ich eine Zigarette darauf ausdrücken könnte ohne dabei Schmerzen zu empfinden.
Die nächste Tour
Ich konnte auf meiner Tour viele Erfahrungen sammeln und ausgiebig üben. Ich fühle mich nun nicht mehr zu unsicher und zu nervös um auf der Strasse vor fremdem Publikum zu spielen. Ehrlich gesagt, es hat eine Weile gedauert bis ich mich beim Spielen auf der Strasse wirklich wohl gefühlt habe. Ich möchte nun irgendwann auf heimischen Strassen Musik spielen. Jedoch beginnt jetzt die kalte Zeit des Jahres, weswegen ich mit diesem Vorhaben unweigerlich noch warten muss bis der Winter vorbei ist.
Üben hat noch niemandem geschadet. Darum werde ich meine nächsten Ferien im November nochmals dazu nutzen, für 3 Wochen auf die Strasse zu gehen um Musik zu spielen und um Geld für einen guten Zweck zu sammeln. Voraussichtlich werde ich nach Spanien fahren und dort mein Glück versuchen.
Summa summarum hat mir diese Tour folgendes gezeigt: Mit solch einem Vorhaben gibt es nichts zu verlieren. Ich kann nur gewinnen, auf die eine Weise oder die Andere. Mit dem Gedanken daran, etwas Gutes zu tun, ist der Rückenwind immer stark genug um weiter zu machen, selbst gegen den Strom.







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