Desperado
- Yves Tscherry
- 21. Nov. 2019
- 5 Min. Lesezeit
Montag, 18.11.2019
Ich habe eine unruhige Nacht mit wenig Schlaf hinter mir, von Fieber und Gliederschmerzen begleitet. Um 10 Uhr raffe ich mich auf und begebe mich zum "Registre General". Nach einer knappen Stunde Wartezeit wird meine Nummer endlich aufgerufen. Leider spricht die Dame kein Englisch, sodass ich gezwungen bin, mein Anliegen in gebrochenem Spanisch zu formulieren. Da wir beide sehr schnell realisieren, dass wir so nicht weiterkommen, sucht sie nach jemandem, die/der Englisch sprechen kann. Ein junger Mann setzt sich zu mir und fragt mich, was mein Anliegen sei. Ich erkläre ihm, warum ich hier bin und was ich vorhabe und dass ich gerne eine Bewilligung hätte um auf der Strasse zu spielen. "Klar, kein Problem", meint er, "würde es zwischen 15.12. und 25.12. passen?"... Ich erkläre ihm nochmals, dass ich jetzt für 2 Wochen hier bin und die Bewilligung jetzt brauchen würde. "Oh nein, das geht leider nicht". Scheinbar sind derartige Bewilligungen kontingentiert, und bis am 15.12. sind sämtliche Kontingente bereits aufgebraucht. Ich frage mehrmals, ob es nicht doch irgendeinen weg geben würde an eine Bewilligung zu kommen und betone vermehrt, dass ich für einen wohltätigen Zweck spiele. Es scheint unmöglich zu sein. Bevor ich endgültig aufgebe, lege ich 50€ auf den Tisch. Nichts da, mit Bestechung läuft hier auch nichts.
Zumindest kann mich der junge Mann über die rechtliche Lage aufklären: Strassenmusik, ob alleine oder in der Gruppe, ob mit oder ohne Verstärker, ist nur mit einer entsprechenden Bewilligung erlaubt. Jedoch seien die Polizisten auf der Strasse oftmals kulant, falls die Musik nicht allzu laut und allzu schlecht sei. Aha, hier urteilen also Polizisten, was gute und was schlechte Musik ist. Sehr knusprig.

Erschöpft und entmutigt gehe ich nach Hause und gönne mir eine Stunde Schlaf. Nach pharmazeutischer Betäubung aus der Apotheke gehe ich mit Gitarre und ohne Verstärker nochmals zur "Plaza de la Virgen". Ich spiele für eine Stunde, solange bis ich mich wirklich nicht mehr stark genug fühle um weiterzuspielen. Immerhin verdiene ich 10€ in dieser Stunde. Also, ab nach Hause ins Bett. Als ich aufwache hat die Dämmerung bereits eingesetzt. Ich gehe etwas essen.
Die Ernüchterung nach dem Gespräch auf dem "Registre General" und meine körperliche Verfassung lassen mich in ein Loch fallen. Ich fühle mich ratlos, weiss gerade nicht weiter. Ganz aufgeben möchte ich nicht, sehe jedoch ein, dass dieser Trip betr. meines Zieles nicht mehr als so ergiebig werden würde. In der Verzweiflung entschliesse ich mich dazu, meine Reise um 3 Tage zu verkürzen. Den Flug kann ich gegen eine Gebühr von 50€ umbuchen, die Kosten des Airbnb's bekomme ich fast gänzlich zurückerstattet. Erschöpft schmeisse ich mich ins Bett und versuche zu schlafen.
Dienstag
Gliederschmerzen und Fieber haben sich noch nicht gelegt. Dennoch raffe ich mich auf und ziehe mit meiner Gitarre in die Altstadt. Auf der "Plaza de la Virgen" spielen zwei Jungs mit Verstärkern. Aussichtslos hier zu spielen, man würde mich nicht hören. Ich ziehe weiter in ein kleines Gässchen und spiele dort für eine halbe Stunde und kassiere 3€ dabei.
Auf der Suche nach einem geeigneteren Ort treffe ich ein paar andere Strassenmusiker an. Insgesamt tausche ich mich mit 5 Musikern aus. Alle von ihnen sind in Valencia aufgewachsen, alle von ihnen haben eine Bewilligung. Zwei von ihnen sind mit einem Verstärker unterwegs. "Es ist jedes Jahr ein Kampf auf's neue um an so eine Bewilligung zu kommen. Ohne Bewilligung lässt dich aber die Polizei nicht in Ruhe, und wenn du Pech hast, bekommst du ohne Vorwarnung eine saftige Busse".
Später laufe ich nochmals zurück zur "Plaza de la Virgen", die zwei Jungs sind inzwischen weg, sodass ich hier nochmals mein Glück probieren kann. Ich spiele erneut für eine ganze Stunde, bis ich von der Polizei unterbrochen werde. Zumindest konnte ich in dieser Zeit 8€ sammeln. Zwar laufen in dieser Stunde etwa 3 Patrouillen an mir vorbei, sie scheinen sich aber nicht ab mir zu stören. Aber diese zwei - scheinbar ein bisschen gelangweilten - Polizisten bleiben stehen und fragen mich nach meiner Bewilligung. Ihr könnt euch ja vorstellen wie die Diskussion abgelaufen ist: "Ich habe keine Bewilligung". "Du brauchst aber eine Bewilligung um hier spielen zu können". "Ich weiss, ich wollte eine Bewilligung holen, hab' aber keine gekriegt". "Dann musst du leider aufhören zu spielen, und falls wir dich nochmals beim Musizieren erwischen, müssen wir dir eine Busse geben".
Ich gehe in einen Park, setzte mich unter einen Baum, fernab vom Getümmel der Stadt und spiele ein wenig für mich um auf andere Gedanken zu kommen. Ich gehe nach Hause, schlafen.
Mittwoch
Meine körperliche Verfassung hat sich verbessert. Ich schnappe meine Gitarre, auf zur "Plaza de la Virgen". Es ist gerade Mittagszeit, viele Leute und keine anderen Musiker. Ich fange an mit "The wind cries Mary". Julio bleibt vor mir stehen und singt mit :) Glatter Kerl. Als ich mit dem Song zu Ende bin reden wir eine Weile zusammen. Meine Stimme und meine Gitarre gefallen ihm sehr :) Er spricht sehr gut Deutsch und Englisch. Er hat eine Weile in Deutschland gelebt. Wie es der Zufall will, spielt er auch Musik. Und auch er bestätigt; ständig hat er Probleme mit der Polizei. Das sei echt mühsam hier in Valencia. Er und seine Band spielen am Donnerstag in einer kleinen Bar in "El Carmen", ebenfalls ein eher alternativer Teil der Altstadt nördlich von der "Plaza de la Virgen". Im Anschluss an das Konzert würden sie gerne eine Jam-Session lancieren, und es wäre eine Freude für ihn, wenn ich dort ein paar Hendrix-Songs zum Besten geben könnte. Ich verspreche ihm nichts, lasse ihn aber spüren, dass ich sehr gerne vorbeischauen würde :) In dieser Stunde hab ich nur 5€ eingenommen.
Ich merke, dass ich eine Pause benötige. Ich laufe ein bisschen durch die Gässchen, Esse ein paar Tapas und stärke mich mit ein wenig "Aqua de Valencia". Nachdem die Dämmerung einsetzt gehe ich zurück zur "Plaza de la Virgen". Während ich am spielen bin, kommt Miriam zu mir. Sie stellt etwa 50 Meter entfernt von mir ihre Aquarellbilder aus. Sie geht sich gerade eine Kaffee holen und fragt mich, ob sie mir auch einen bringen könne. Dankend nehme ich an. Auch ihr gefallen meine Gitarre und meine Stimme :) In dieser Stunde nehme ich 12€ ein. Als ich fertig bin mit Spielen, hole ich mir in einem Seitengässchen einen Sack voll Churros, zwei Kaffees und gehe zurück zu Miriam. Wir trinken gemütlich den Kaffee zusammen und quatschen ein wenig. Sie ist 30 Jahre jung und bestreitet ihren Lebensunterhalt mit der Strassenkunst. Geboren in Madrid, zog sie vor 10 Jahren nach Valencia. Valencia sei viel gemütlicher und weniger hektisch als Madrid. Sie beginnt ihre Kunstwerke in einem Koffer zu verstauen. Gemeinsam genehmigen wir uns noch ein paar Bier in einer Bar. Dann freue ich mich auf mein Bett, ich bin schon wieder völlig erschöpft.
Das Total der Spenden beläuft sich bis und mit Heute auf 43€. Besser als nichts. Dennoch wünschte ich, es wäre ein bisschen mehr.
Samstag: 2€
Sonntag: 3€
Montag: 10€
Dienstag: 11€
Mittwoch: 17€
¡Hasta luego!





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