Noise Pollution
- Yves Tscherry
- 17. Nov. 2019
- 6 Min. Lesezeit
Das schönste Kompliment, welches ich bis jetzt erhalten habe: Noise Pollution. Cool, zumindest habe ich jetzt einen geilen Namen für meine Einmann Band. Aber zuerst mal, was dazwischen alles war.
Donnerstag, 14.11.2019
Eigentlich steht eine Stadtführung mit einem lokalen Guide auf dem Programm. Aber, es regnet und windet ziemlich stark, sodass mich der Guide bittet, die Führung auf Freitag zu verschieben. Ich latsche also ein wenig durch Valencia und erkunde die Stadt. Zudem habe ich Zeit um weiter zu recherchieren, bei welcher Institution ich meine Spende platzieren werde. Das Geld werde ich an "Aspanion" spenden. Dies ist eine ortsansässige Institution, welche krebskranke Kinder und deren Familien unterstützt.
Am Abend lande ich in einer netten Bar in Ruzafa. Ruzafa ist der alternative Teil der Stadt, etwas südlich des Hauptbahnhofs. Dort treffe ich viele interessante Leute. Arash kommt aus dem Irak. Er spricht perfekt Deutsch. Sein Plan war es in Frankfurt zu studieren. Daraus wurde jedoch nichts; scheinbar grundlos hat der Staat seinen Antrag zur Aufenthaltsbewilligung abgelehnt. Nun lebt er seit einem halben Jahr in Valencia und studiert hier BWL an der Universität. Arash ist mit seinem Freund unterwegs. Er ist aus Schweden. Mit ihm rede ich jedoch kein Wort, er scheint nur daran interessiert zu sein, Frauen aufzureissen. Dann unterhalte ich mich mit Bagbah (weiss nicht ob ich den Namen richtig schreibe). Er kommt aus Papua-Neuguinea wo er für ein Hilfswerk arbeitet. Zusammen mit anderen Helferinnen und Helfern aus Indonesien besucht er verschiedene Städte in Europa. Sie treffen hier verschiedene "Verbündete" und tauschen Erfahrungen aus. Bagbah zeigt mir Fotos aus seiner Heimat und wie er aufgewachsen ist. Aus Angst, despektierlich zu wirken, wollte ich das Wort nicht benutzen, bis er es auf einmal selber tat: "You know, we are bush people". In einem Dorf im Dschungel aufgewachsen, kein Strom, keine Verbindung zur Aussenwelt, mit nichts als Blättern bekleidet, schickten ihn seine Eltern in seinem 16. Lebensjahr nach Australien, damit er dort Englisch schreiben und reden lernen konnte. Nun ist er 30 Jahre alt, hat einen universitären Abschluss in BWL. In seiner Heimat versucht er nun durch die Arbeit mit dem Hilfswerk eine Bibliothek für die Jugendlichen aufzubauen und ihnen lesen und schreiben beizubringen. Ich bin erstaunt über den Werdegang dieses Menschen und den Willen, den Jugendlichen in seiner Heimat den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Als ich ihm erzähle, dass ich Entwickler bin, möchte er mich dazu überreden, ihn in Papua zu besuchen und ihm zu helfen, den Kindern Programmieren beizubringen. "Habt ihr denn dort irgendwo Computer und Zugang zum Internet?", "Nein, bis jetzt noch nicht". Also, mal schauen, habe zwar noch ein paar andere Projekte, aber vielleicht fange ich an PCs zu sammeln und mache mal einen Ausflug nach Papua :) Ich bemühe mich, mit anderen Leuten in der Bar spanisch zu reden. Naja, wenn die Antwort auf die erste Frage bereits auf Englisch kommt, dann weiss man, dass die Spanisch-Kenntnisse doch noch nicht so elaboriert sind :) Der Abend vergeht wie im Flug, die Bar schliesst und wir gehen alle nach Hause.
Freitag
Von 12 bis 16 Uhr steht mein Stadtrundgang an. Zum Glück habe ich nicht verschlafen. Wir bewegen uns hauptsächlich in der Altstadt. Ich erfahre viele Infos über die Architektur von Valencia, über Essen und Leute. Mein Guide ist sehr erpicht darauf, einige scheinbar allgemein verbreitete Halbwahrheiten über traditionelles valenzianisches Essen und Trinken zu korrigieren. Die Horchata stammt aus Valencia, nicht etwa aus Mexiko und wird aus in Wasser eingeweichten Erdmandeln hergestellt. Die traditionelle Paella wird ausschliesslich mit Hähnchen- und Kaninchenfleisch zubereitet. Alles andere ist keine richtige Paella!
Auf der Tour laufen wir am zweitschmalsten Haus der Welt vorbei (es ist ca. 1.2 Meter breit), besuchen die berühmte Markthalle, wo es jeden Tag frische Früchte, Fisch, Fleisch und andere Leckereien zu kaufen gibt, sehen uns viele Kathedralen und Kirchen an, besuchen das Rathaus, den Hauptbahnhof und einige Tapas-Bars. Dort lerne ich nun auch endlich, was der Unterschied zwischen "Jamón Serrano" und "Jamón Ibérico" ist. Bis jetzt wusste ich nur, dass ich beides sehr gerne esse und beides relativ ähnlich aussieht. Also, der "Jamón Serrano" kommt von "normalen" weissen Schweinen. Zu vergleichen mit dem "Rohschinken", den wir auch bei uns kennen. Der "Jamón Ibérico" stammt von einer speziellen Schweinerasse, vom "Ibérico-Schwein". Sie werden hauptsächlich mit Eicheln gefüttert, wodurch der Schinken seinen einzigartigen Geschmack erhält. Dieser ist um einiges teurer als der "Jamón Serrano", da er bis zu seiner Auslieferung etliche Qualitätskontrollen durchlaufen muss (Herkunft, Aufzucht und Verarbeitung).
Nach der Führung bin ich ziemlich müde. Ich laufe noch ein wenig umher und geniesse dann noch in ein paar Tapas in einer Bar in der Altstadt. Ganz unwissend bestelle ich zu den Tapas ein "Aqua de Valencia" und bin erstaunt, dass mir ein Getränk auf den Tisch gestellt wird, welches offensichtlich nichts mit Wasser zu tun hat: Champagner, Vodka, Gin und Orangensaft. Hätte ich nicht gedacht, aber schmeckt ausserordentlich gut :)
Samstag

Motiviert breche ich kurz nach dem Mittag auf, gepackt mit Verstärker, Mikro, Mikroständer und Gitarre. Ich gehe zur "Plaza de la Virgen", ein in meinen Augen idealer Spot um Musik zu spielen. Nach knapp 10 Minuten werde ich von zwei Polizisten unterbrochen. Zu meinem Glück sprechen sie beide sehr gut Englisch. Sie geben mir zu verstehen, dass "Noise Pollution" in Valencia gesetzlich verboten ist und dass sie mir eine Busse von 120€ aufdrücken müssen. Ich zeige ihnen mein Spendenschild (habe es sogar auf spanisch geschrieben) und erkläre ihnen, warum ich hier spiele und dass ich für einen guten Zweck sammle. Zunächst sind sie skeptisch, bitten mich ihnen meinen Ausweis zu zeigen (welchen sie dann auch direkt abfotografieren) und fragen mich, wie lange ich hier bin, wie ich mein Geld verdiene, ob ich verheiratet bin, ob ich jemals inhaftiert war, ob ich in der Schweiz eine Haftstraffe gegen mich offen sei, ob ich in Valencia Kontakt zu anderen Ausländern hätte... Echt jetzt! Kommt schon Leute! Ich will hier etwas Gutes tun und ihr behandelt mich wie einen Terroristen? Wenn ihr nur in allen Bereichen des Lebens so exakt arbeiten würdet, dann ginge es der spanischen Wirtschaft vielleicht ein bisschen besser? :) Natürlich bleibe ich ruhig und höflich und beantworte alle Fragen. Sie sehen von einer Busse ab, mahnen mich aber, dass sie mir das nächste Mal eine Busse geben müssten.
Ich packe meine Sachen und latsche in den etwa ein Kilometer entfernten "Parque de la Cultura". Nach dem Motto "Lieber nachher um Entschuldigung bitten als vorher um Erlaubnis" versuche es halt hier einfach erneut. Unglaublich. Mein Karma ist wohl schlechter als ich gedacht habe. Dieselben zwei Polizisten tauchen erneut auf. In einem wirklich ernsten und schon fast angsteinflössenden Ton sagen sie mir, dass ich nun wirklich aufhören müsse, da ich ansonsten die Busse erhalten würde, und zusätzlich müssten sie dann auch noch mein Equipment beschlagnahmen. Ok, sie scheinen es wirklich ernst zu meinen. Sie raten mir, beim "Registre general" vorstellig zu werden und dort eine Bewilligung einzuholen. Die Polizisten konnten mir zwar nicht sagen, welche Rechte mir die Bewilligung einräumen würde, aber dort würde ich zumindest darüber informiert werden, was erlaubt sei und was nicht. Ok. Beim "Registre general" angekommen, ist es leider schon geschlossen. Ja he, es ist ja auch bereits 15 Uhr. Also, am Montag nochmals versuchen.
Ich bin echt deprimiert. Von der "Laisser faire" Mentalität, von welcher ich in Spanien immer und überall so angetan war, verspüre ich jetzt gerade nicht mehr viel. Im "Jimmy Glass" versuche ich mich bei einem Schluck "Aqua de Valencia", ein paar Tapas und gutem Jazz ein wenig von den unglücklichen Geschehnissen des heutigen Tages abzulenken. Spendentotal: läppische 2€. Mehr Tränen als Geld im Spendensack.
Sonntag
Das Wetter zeigt sich heute wieder von seiner herbstlichen Seite. Mit 15° und einem kühlen Wind fühlt sich der Spaziergang auf der Strasse schon etwas härter an. Ich entschliesse mich, trotz der unschönen Begegnungen mit der valenzianischen exekutiven Gewalt vom Vortag noch eine Session durchzugeben, jedoch ohne Verstärker. Mit der Gitarre gehe ich nochmals zur "Plaza de la virgen". Dort spiele ich für rund 40 Minuten. Aber es geht so gar nicht. Der Platz ist sehr lebendig, und Spanische Leute, vor allem in Gruppen, reden sehr sehr laut, um nicht zu sagen penetrant. Auch wenn mich viele Leute passieren, werde ich kaum wahrgenommen. Die Meisten sind vertieft in ihre Gespräche, es scheint als würden sie selbst durch eine Blitzschlag nicht daran gehindert werden, weiter zu laufen und zu reden. Bilanz nach der Session: 3€. Aber zumindest keine Polizei.
Es scheint eine mehr oder minder raffinierte Art zu geben, um als Strassenmusiker die Gesetzgebung auszuhebeln. Man sieht es sehr oft in fast ganz Spanien: Musiker stehen auf der Terrasse eines Restaurants, spielen und gehen anschliessend mit dem Spendenhut zu den Leuten an die Tische Geld sammeln. Solange sich die Besitzer nicht beschweren, wird in solchen Fällen die Polizei scheinbar auch nichts einzuwenden haben. Das möchte ich jedoch nicht tun. Einerseits spiele ich eine "andere" Art Musik als die Leute, die dort üblicherweise spielen und die Leute entzücken. Andererseits würde ich mich einfach nicht wohl dabei fühlen, die Leute beim Essen zu stören. Ich entschliesse mich, bis am Montag abzuwarten, welche Infos und was für eine Art Bewilligung ich am Montag beim zuständigen Amt erhalte.
¡hasta pronto!





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